Kantate

Kantate 2. Mai 2021
Predigttext Lk 19,37-40

Liebes Gegenüber,

draußen zwitschern die Vögel und dem Gras kann man schier beim Wachsen zuschauen.
Mir ist als würden auch wir Menschen eine Kraft in uns spüren, die die Knospen zum Blühen bringt. Anhaltende Osterfreude bestimmt auch diesen Sonntag Kantate heute. Singt. Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.

Foto: Gemeindebrief/epd Bild

Von solchen Wundern erzählen die Lieder in der Bibel, das Lied der Miriam nach der wundervollen Befreiung von den Ägyptern, davon erzählt ein ganzes Liederbuch, der sogenannte Psalter in der Bibel, davon erzählen Hanna und Zacharias und viele andere mehr. Nicht zuletzt Maria. Und immer geht es um Gottes Zuwendung zu den Menschen, um seine Fürsorge, seine Gerechtigkeit und Liebe.

Das Kirchenjahr erzählt uns von dem, was nach Jesu Auferstehung geschieht. Wir haben von Jesus gehört, der den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus begegnete und sie, wie das Lukasevangelium erzählt, nach Jerusalem begleitet.

Wieder sind sie auf dem Weg. Mit ihm. Dem Auferstandenen. Sie werden sich erinnern an den einen Sonntag, an dem Jesus noch vor kurzem, zu Lebzeiten, von so vielen Menschen bejubelt wurde bei seinem Einzug in die Stadt.
Und wie sie gesungen und Gott gelobt haben und wie sie Jesus verehrt haben als den, den die Propheten schon so lange angekündigt hatten:

Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! 

Ich lese uns diese Bibelstelle aus dem Lukasevangelium vor, 19,37-40:

37Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten,38und sprachen:

Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! 

Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

39Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm:
Meister, weise doch deine Jünger zurecht! 40

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Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

Ach, wie schön das war, ein Bad in einer jubelnden Menge.
So, dass die Worte der gelehrten Pharisäer kaum zu hören waren. Pharisäer, diese streng-gläubigen Männer haben darauf hingewiesen, wie gefährlich es sei, Jesus als König zu ehren.

Es war ja wirklich lebensgefährlich. Sie hatten ja Recht mit ihrer Empfehlung, er möge die Menschen schweigen lassen.

Doch Jesus hört sie und lässt sich nicht darauf ein. „Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien, erwidert er.“

Ein merkwürdiges Bild. Wo wir doch gewohnt sind, dass Steine überhaupt nichts von sich hören lassen.

Oder doch, ja, an einigen Orten dieser Welt gibt es singende Steine, auf den Sommerinseln etwa. Ein Naturwunder. Oder auch, von Menschenhand geschaffen in der Kirche von Monreale bei Palermo.
Mancherorts wurden in den letzten Jahren auch sprechende Steine gesehen. Das sind meist flache Steine, die liebevoll bemalt wurden mit herzlichen Grüßen oder auch mit biblischen Geschichten.

Von Steinen erzählt die Bibel mancherorts.
In Stein gemeißelt waren die 10 Gebote, vom Eckstein als Metapher für Glauben und Gottvertrauen ist schon bei den Propheten und schließlich auch in Bezug auf Jesus die Rede. Steine verheißen einerseits Stabilität – wer sein Haus auf Stein baut, der hat wohl gebaut, Simon, der den Beinamen Petrus erhält, der Fels, auf den Jesus seine Kirche gebaut hat.
Zugleich ist aber vor allem bei den Propheten auch von Herzen aus Stein die Rede. Die nur Gott erweichen kann.

Über die schreienden Steine hier im Evangelium allerdings stolpere ich.
Steine als Mahnmal – ja. Das kenne ich.
Grabsteine auch, die liebevoll an Verstorbene erinnern. Gedenksteine, die informieren und einladen zum Innehalten und Nachdenken. Oder auch zum Gebet. Wie etwa die einzigen Steine, die nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr durch die Römer noch standen. Die Ostseite des Tempels, die heutige Klagemauer.

Schreiende Steine, für mich sind das auch die Steine, die zur Erinnerung an Jüdinnen und Juden aufgestellt wurden – als großes Holocaust Mahnmal in Berlin, als Stolpersteine vor Wohnhäusern, aus denen die Menschen verschleppt wurden, als Tafeln an Häusern, zur Erinnerung.

Da wo die Menschlichkeit verstummt angesichts des Todes, der Grausamkeit, ja der Menschenverachtung, da erzählen die Steine weiter. -das ist bis heute so. Selbst da, wo Friedhöfe geschändet wurde, wo Heilige Stätten wie in Palmyra, Mossul, Aleppo oder auch in zerstört wurden.

Da schreien die Steine, weil Menschen es nicht mehr können.

Und doch – immer wieder gelingt der Hoffnung. Immer wieder gibt es ein Durchkommen, so wie die Menschen, die die KZs überlegt haben, die Gulags, ja jetzt die Frau, die aus einem der berüchtigten Umerziehungslager in China flüchten und darüber berichten konnte. Wovon sie erzählt, verschlägt einem die Sprache.
Doch selbst unter widrigsten Umständen singen die Menschen. Von ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden. Damals, als Sklaven auf den großen Plantagen in den USA, als Moorsoldaten in den Außenbezirken des KZ Börgermoor in Ostfriesland, in den Diktaturen Südamerikas und ganz sicher auch in Hongkong und in China.

Auch bei uns wird viel gesungen gegen scheinbar in Beton gegossene Regeln des Wirtschaftswachstums und der Abgrenzung.
Ich denke an die Gewinnerin des diesjährigen Protestsong-Contests Gina Disobey mit ihrem ‚Seeking Asylum is not a Crime‘, Asyl suchen ist kein Verbrechen. Sie hat ihn geschrieben als sie von dem Hungerstreik der Geflüchteten im Sommer 2019 auf dem Bürglkopf bei uns in Fieberbrunn erfuhr.

Kantate. Singt wird uns zugerufen.

Auch wenn uns angesichts der Nachrichten immer wieder ein Kloß im Hals stecken bleibt, lasst uns leise summen und singen.
Mit den schönen, seit langem vertrauten Gesangbuchliedern, mit Mailiedern und in welcher Sprache auch immer. So dass, wie es in einer Bachkantate heißt, ‚der Himmel lacht, die Erde jubilieret‘.

Zu beidem sind wir aufgerufen, zum Hören und Schauen, wo die Steine schreien, weil Menschen es nicht mehr können.

Lasst uns dahin schauen, wo so viel Leid auch heutzutage zu verhindern sein muss: in Indien etwa oder bei uns etwa in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln.

Doch lasst uns nicht in der Trauer und stummem Protest stecken bleiben. Sondern handeln und lästig werden wie die Menschen damals, die Jesus zujubelten und auch nach seinem Tod nicht mundtot gemacht werden konnten.
Lasst uns nicht verstummen, sondern auch singen und tanzen.
Ja, und Gott danken für alles Lebendige, das wir mit um uns und in uns spüren.

Amen

Foto: Lotz Gemeindebrief