Estomihi

Hier die Predigt unseres Urlauberseelsorgers Pfr. i.R. Helwig Bröckelmann:

Predigt Jes. 58

„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschen Sohn.“

Mit dem Wort dieses Sonntags treten wir ein in die Passionszeit, in die Fastenzeit, wie sie auch genannt wird. Verse aus dem Jesajabuch, dem 58 Kapitel, sollen uns auf dem Weg nach Ostern hin begleiten. Am Anfang steht eine Frage:

Was ist das für ein Fasten?

Gott bricht damit sein Schweigen; er wird laut – unüberhörbar! Dazu bedient er sich der Stimme seines Propheten Jesaja: “Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!“

Der Prophet wird noch deutlicher: Euer Gott ist genervt. Was Fällt euch ein? Täglich fragt ihr nach ihm, wollt angeblich seine Wege wissen, als wäret ihr solche, die Gottes Recht gehalten hätten, ja als hättet ihr einen Anspruch, dass Gott euch nahe wäre. Und habt noch die Unverschämtheit zu fragen: Warum fasten wir bloss, und du siehst es nicht einmal an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst es gar nicht wissen?

Dem zornigen Gott begegnet sein Volk mit Widerspruch und Enttäuschung. Was ist denn falsch an unserem Fasten? Das gehört doch zum gebotenen Gottesdienst, zu den heiligen Ordnungen, zum Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, von Kindesbeinen an eingeübt und vollzogen. Damit ist es weit entfernt von einem Fasten, wie wir es heute verstehen. Obgleich – Fasten liegt ja im Trend. Wer trendy fastet, weil ja auch etwas Gutes tun – sich selbst, versteht sich – den Körper entschlacken, um die ungesunde Müdigkeit zu vertreiben, überflüssige Pfunde abbauen, um leistungsfähiger und gesünder den Anforderungen des Alltags zu begegnen; oder auch ganz anders – sich Zeit für spirituelle Übungen zu nehmen, Erholung für Seele und Geist. Das ist in der Tat weit entfernt von einem Fasten wie es das alte Israel verstand, das in der Tiefe das Eingeständnis einer auf allen liegenden Verschuldung ist. Und damit sind wir wieder in der Zeit angekommen, in der die scharfen Worte des Propheten Jesaja Israels Gewissen herausfordert. Die harten Jahre des Exils, der Gefangenschaft waren vorbei. Ein großer Teil der Verschleppten durfte nach Israel, nach Jerusalem zurückkehren. Doch das war nicht mehr die so lang vermißte alte Heimat. Äcker und Gärten lag wüst, Jerusalem ein Trümmerhaufen, unübersehbares Zeugnis der noch längst nicht überstandenen Katastrophe. Doch dann hatten sie drauflosgearbeitet, gegen alle Schwierigkeiten mit dem Wiederaufbau begonnen. Es gab schon wieder einige reiche Familien, die in Steinhäusern wohnten, Bauern, die mit billig organisierten Scharen von Sklaven und Tagelöhnern erste gute Ernten einführten. Doch es lief längst noch nicht alles rund. Da ordneten die Priester besondere zusätzliche Gebets– und Fastentage an. Gott muss doch unsere Not sehen, unsere Stimme hören. Unser Fasten muss ihn so beeindrucken, dass er uns wieder nahe, sprich gnädig und zur Hand sein muss. Doch Gott schweigt, eine unerträglich lange Zeit.

Warum redest du nicht? Siehst du uns nicht? Endlich, Gott sei Dank – er redet wieder. Doch er tut es mit der Donnerstimme des Gerichts: Ich sehe nicht? N ein, ihr schaut weg! An euren festlichen Fasttagen treibt ihr eure hinterlistigen Geschäfte, eure Konflikte tragt ihr mit Gewalt aus. Ihr schlagt und zankt mit gottloser Faust – und das hinter meinem Rücken. Eure Arbeiter treibt ihr wie das Vieh an. Sehr doch endlich hin – nicht auf mich – seht auf die Menschen neben euch – fromm beugt ihr eure Knie, doch eure Mitmenschen tretet ihr mit Füßen, erniedrigt, zerbrecht sie. Soll das ein Fasten sein, an dem der Herr Wohlgefallen hat? Wenn du mich Suchen und Finden willst, so lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass frei, auf die du das Joch gelegt hast.

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend

ohne Obdach sind führe ins Haus- Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Das sind Worte, die unendlich weit weg zu sein scheinen von unserer Zeit, unserem Leben: Entzieh dich nicht, verlier den Menschen neben dir nicht aus dem Blick! Ist das nicht immer wieder und auch heute die schwärende Wunde jeder Frömmigkeit, diese bleibende Bruchstelle zwischen Sonntag und Alltag, Kirchenbank und Werkbank, der offen am Tage liegende Widerspruch zwischen unserem Beten und unserem Tun?  Ist das Wort des Propheten nur ein Wort, das uns in längst überholte Vergangenheiten führt – oder vielleicht doch eine verblüffende Parallele zum Erleben unserer Tage?

Unser Fasten, schon fast ein Jahr dauert es an, ist zwar nicht die babylonische Gefangenschaft der Kinder Israels, doch sie wird unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Was ist das für ein Fasten? Auf keinen Fall ein selbstgewähltes. Was hat dieses eine Jahr aus uns gemacht? Jeden Tag erfahren wir andere und neue Geschichten. Dem einen hängt der Brotkorb schon bedenklich hoch, ein anderer reibt sich verwundert die Augen, dass die Kurse an der Börse in nie gedachte Höhen steigen. Und was wird nach der wirtschaftlichen und der noch härter verordneten sozialen Fastenkur, wenn – wie der Bundesfinanzminister der BRD sagte – es wieder Bumbs macht? Ist dann vergessen, was in der Krise zaghaft erinnert und gelebt wurde: Dr Blick auf das Ergehen des Nachbarn, das Mitfühlen und Mitsorgen für die besonders hart Getroffenen. Oder geht es gleich wieder los in der Selbstsucht eines unerbittlichen Konkurrenzkampfes,in der Hintanstellung derer, die nicht nur in der Krise, sondern auch wieder danach die Verlierer sind ?

Und unsere Kirche? Sie wird ihre Türen irgendwann wieder öffnen für Gebet und Lied, Predigt und Brotbrechen. Da wird es viel zu danken, viel zu klagen geben, zu beichten gewiss auch. Wird Gott uns nahe sein und bleiben? Die Antwort gibt er allein. Doch die Blickrichtung, wo er sichtbar, auffindbar wird, hat schon der Prophet gewiesen: Weg von mir selbst und meinen Privilegien und Augen auf für die Schwestern und Brüder neben mir -die Kleinen ganz besonders. Wäre das ein Fasten? Noch einmal die Stimme Jesajas: Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten: wenn du schreist, wird er sagen: „Hier bin ich“. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte. Du wirst sein ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ Gott schenke uns solche Fastentage durch die Zeit der Passion auf Ostern zu.

Wir empfehlen folgenden Fernsehgottesdienst:
14.2.21 um 10 Uhr ORF III ‚Es sind nicht immer die Lauten stark,
Ev. Gottesdienst aus Linz.