Quasimodogeniti

Erster Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti, 11.4.2021
Predigt (Johannes 20,19-20.24-29)

Liebe Gemeinde,

auch in diesen Apriltagen genieße ich die Schönheit der Welt ganz besonders. Die Sonne macht dem Schnee wieder den Garaus, die Amseln singen und Meisen zwitschern leise, eigentlich immer, wenn ich hinausschaue und mir Zeit nehme, die Welt zu genießen, lacht mein Herz.

Und wenn ich dann wieder hineingehen muss, ja da geht es mir schon so wie denen, von denen Jesaja erzählt. Da fühl ich mich müde und matt.

Wie das dann gehen kann, dass wir, wie es bei Jesaja heißt, auffahren mit Flügeln wie Adler, habe ich mich oft gefragt.
Unser Predigttext heute erzählt von einem, der das erlebt hat.

Vom ungläubigen Thomas.

Im Johannesevangelium wird von ihm erzählt.

Da war die Ostergeschichte, in der Maria Magdalena dem auferstandenen Jesus an seinem leeren Grab begegnet und dann den Jüngern davon erzählt.

Und dann – kommt er selbst.

Joh 20,19-29

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. …

24 Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägel Male sehe und lege meinen Finger in die Nägel Male und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.

Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

„Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche Deine Hand her und lege sie in meine Seite.“

Wie liebevoll Jesus den Thomas einlädt.  Doch dem wird das nicht Einerlei gewesen sein, seine Finger und Hände gar in Jesu Wundmale zu legen.

So schön wie es ist, wirklich sinnlich zu begreifen, dass er lebt – so schrecklich stelle ich es mir vor, dorthin zu tasten, wo Haut und Fleisch wund und offen sind.

Aber das allein reichte noch nicht. Der auferstandene Jesus sprach es ihm auch noch einmal zu: „sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“

Das ist DAS Geschenk, DAS Angebot, dass der auferstandene Jesus macht. Immer und immer wieder seither: „Sei nicht ungläubig, sei gläubig.“

So, wie er Menschen heilte, die wund waren, krank, ausgestoßen, verletzt, so heilt er nun, nach seinem Tod, indem er berührt werden gestattet.

Wenn wir es wagen, dorthin zu tasten, wo Schmerz und Tod sitzt, dann werden wir eingeladen zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass solcher Schmerz und solcher Tod nicht das letzte Wort haben.

Meine Finger nicht, wohl aber meine Augen tasten immer wieder nach diesem auferstandenen und sichtbar verletzten Jesus.
Ihn sehe ich bei der Berichterstattung über die Menschen, die dem Tod ausgeliefert sind. Infizierte Menschen in armen Ländern, all diejenigen, die sich für den Frieden in ihrem Land einsetzen in Myanmar etwa oder wegen ihres Engagements für eine offene, demokratische Gesellschaft in Haft sitzen wie Alexej Nawalny, wie so viele in der Türkei und vielen anderen dunklen Orten in der Welt.  
So weit brauchen wir wohl gar nicht zu gehen, um Menschen leiden zu sehen. Denn auch hier bei uns gibt es Flüchtlinge, denen der Tod droht, gibt es sehr arme, gibt es Obdachlose, denen es schlecht geht,

Das ist die eine Seite.
Die andere ist die Lebendigkeit des Auferstandenen, die ich erkennen kann in all denen, die sich kümmern, beruflich oder auch ehrenamtlich. Menschen, die sich kümmern um Männer, Frauen und Kinder in den Lagern auf den Kanaren, in und um Griechenland, in Italien. Überall auf der Welt helfen Menschen nach wie vor. Ehrenamtlich oder hauptberuflich, in Test- und Impfstraßen, in Krankenhäusern, vielerorts.

Sie vermitteln
„Die Angst vor dem Tod hat nicht das letzte Wort. Solange ich lebe und nicht krank bin, helfe ich.“
Hoffnung vermitteln diese Menschen. Hoffnung im Angesicht nicht nur von Covid19, sondern angesichts unser aller Sterblichkeit.

Gottvertrauen. Die Menschen, die dahin tasten wo Schmerz und Tod sitzen, sie sind die Aufforderung Jesu, ‚sei gläubig‘, sozusagen auf zwei Beinen, mit zwei Armen und mit Mundschutz und Schutzkleidung derzeit. Aber auch ohne, wo das nicht geht, weil es keinen Schutz gibt.

Durch solche Menschen habe ich gelernt zu glauben.

Lange habe ich gedacht, ich müsste selbst so ein Mensch werden.
Das ist mir leider nicht gelungen.
Ich bin eine von denen, die einfach nur erzählt.
Von Jesus Christus, dem Auferstandenen und von all denen, die sich dafür eingesetzt haben, die sich derzeit einsetzen und auch in Zukunft einsetzen werden, dass andere wieder aufstehen können. Stark und lebendig, Gottlob, und mutig und frei wie Adler.

Mir ist es wichtig, weiterzuerzählen, dass Gott selbst immer und immer wieder Menschen die Möglichkeit gibt, zu vertrauen.
Wir können darauf zu vertrauen, dass es ein Leben gibt nach der Pandemie. Auch, wenn wir selbst das vielleicht nicht mehr erleben, so wird es andere geben, andere, die davon erzählen, dass der Tod und die Angst vor dem Virus nicht das letzte Wort hatten.

Wir werden davon erzählen können, dass der Virus nicht die Liebe und Menschlichkeit erstickt hat. Fürsorge, Kreativität und Liebe haben den Sieg davongetragen.

Das, was zwischen dem ungläubigen Thomas und Jesus Christus geschieht, ist für mich auch eine Bewegung in meinem Inneren: Die Ungläubigkeit – das ist Traurigkeit über furchtbare, tödliche Umstände, über Mutlosigkeit und Verzweiflung.
Und dann gibt es manchmal so einen kleinen Moment, in dem ein Angebot kommt:

Ja, schau nur hin, dorthin, wo es ganz schlimm ist. Aber dann wirst Du sehen, dass da etwas von Gott ist, dass aller Zerstörung trotzt: die Liebe Gottes ist es in Person, in der Person des Auferstandenen Jesus Christus. Und der trägt ganz unterschiedliche Gesichter.

Gesichter von Menschen, die sich anderen in Not zuwenden. Und helfen.

Da waren Menschen wie Martin Luther, der trotz Todesgefahr vor 500 Jahren auf dem Reichstag in Worm mutig zu der Kirchenkritik in seinen Schriften stand oder viel später etwa Dietrich Bonhoeffer oder mutige junge Menschen wie Sophie Scholl, die ihr Engagement gegen Hitzler und für jüdische Menschen mit dem Leben bezahlten.

Da sind die Menschen, die direkt am Ort und in Netzwerken heute gegen antisemitische, antimuslimische und rassistische Übergriffe vorgehen. Da sind all diejenigen bei der Diakonie, Caritas, bei den Tafeln und anderen Hilfsorganisationen, die nicht müde werden, die steigende Zahl von Armen zu unterstützten, finanziell, materiell, seelisch.

Gute Nachrichten. Sie lehren mich mit ganzem Herzen zu verstehen, dass Gottes Liebe in diesem auferstandenen Jesus Christus immer wieder neu wird. Und keine Grenzen kennt, weder nationale noch religiöse. Sie ist Gottes Geschenk an die ganze Menschheit. Wir haben sie als Christinnen und Christen durch Jesus von Nazareth verstehen und nach unseren Möglichkeiten auch leben gelernt. Sie ist allerdings nicht beschränkt auf getaufte Christen. Sie ist größer und stärker als wir es uns nur irgend vorstellen können. Und sie wird diesem Virus den Garaus machen.

Amen.

Foto: Hannes Kowatsch/SN